Inklusion digital erlebbar machen – die eigene Stadt aus Wheelmap-Perspektive

Zum Anlass des Europäischen Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung machten sich am 5. Mai 2023 viele unterschiedliche Menschen dazu auf, die eigene Stadt neu zu entdecken – und das mithilfe der „Wheelmap“. Zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember schauen wir noch einmal auf diese Aktion zurück.

Zwei Stufen zur Restauranttür, ein schmaler Durchgang zur Bar oder wenig Bewegungsfreiraum auf dem WC. Was für Menschen ohne Mobilitätseinschränkung häufig unproblematisch ist, kann für Menschen mit Behinderung eine große Herausforderung darstellen – vor allem, wenn man sich nicht darauf einstellen kann.

Wheelmap – So funktioniert’s

Um genau solche Situationen zu vermeiden, gibt es seit einigen Jahren die sogenannte „Wheelmap“ – eine Online-Karte, die zeigt, wie barrierefrei öffentliche Orte auf der ganzen Welt sind. Bewertet werden diese mithilfe eines Ampelsystems: grün bedeutet „rollstuhlgerecht“, gelb bedeutet „teilweise rollstuhlgerecht“ und rot „nicht rollstuhlgerecht“.

Die Einträge auf der Karte können dabei von jeder Person ganz einfach erweitert werden, indem…

  • man bewertet, inwiefern Orte und Toiletten rollstuhlgerecht sind,
  • man Eingangs- und WC-Fotos zu den Orten hochlädt oder
  • man neue Orte auf der Karte hinzufügt.

Die Karte lässt sich entweder per App oder über wheelmap.org aufrufen und kann ohne Registrierung bearbeitet werden. Zur besseren Beurteilung der Orte werden gezielt Fragen gestellt, z.B. „Ist der Eingang stufenlos erreichbar?“

Ein Blick auf die Wheelmap – zum Beispiel in Halle (Saale) – zeigt, dass es noch viele „Orte zum Mithelfen“ gibt, hier also noch keine Bewertung vorliegt. Und was auch deutlich wird: Ein grün gekennzeichneter, also voll rollstuhlgerechter Ort, ist leider nicht die Regel.

©Anna Kolata

Wheelmap-Aktionen rund um den europäischen Protesttag am 5. Mai

Um auf diese Herausforderungen aufmerksam zu machen, findet jedes Jahr europaweit am 5. Mai der Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung statt. Die Freiwilligen-Agentur Halle hat in diesem Jahr Vereine, Organisationen und Initiativen in Sachsen-Anhalt dazu eingeladen, rund um diesen Tag eine eigene Wheelmap-Aktion zu veranstalten. Alle Interessierten wurden dabei von der Freiwilligen-Agentur bei der Planung und Durchführung ihrer Mitmach-Aktionen unterstützt. Bei einer solchen Aktion ziehen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam in Gruppen los, um mithilfe der Wheelmap zu erfassen, wie rollstuhlgerecht ihre Umgebung ist. So kommen Menschen zusammen, die sich sonst nicht begegnet wären, nehmen neue Perspektiven ein und tun gemeinsam Gutes. Insgesamt fanden in Kooperation mit der Freiwilligen-Agentur Halle neun Aktionen in Magdeburg, Halle, Wittenberg, Dessau, Haldensleben, Tangermünde und Quedlinburg statt.

Ein Blick über den eigenen Tellerrand

Mit dabei war zum Beispiel eine Schulklasse der Saaleschule für (H)alle. Lehrerin Katharina Schmidt war mit ihrer fünften Klasse in Halle-Trotha unterwegs, um Geschäfte und öffentliche Orte auf ihre Rollstuhltauglichkeit zu testen. Wichtig war ihr dabei, dass die Schüler:innen „die Herausforderungen des Alltags für Menschen mit einem Handicap kennenlernen können“, so Schmidt. Deshalb konnten die Schüler:innen alle einmal Platz im Rollstuhl nehmen und die Stadt aus Sicht eines Rollstuhlfahrenden kennenlernen. Diese Erfahrung war für die Kinder besonders wertvoll – besonders weil eine Rollstuhlfahrerin in der Klasse ist. Das Erlebte wurde im Nachhinein gemeinsam reflektiert und die zunächst auf Papierbögen festgehaltenen Ergebnisse im Technikunterricht zusammen in die Wheelmap übertragen. Bei allen Schritten haben die Schüler:innen mit viel Begeisterung mitgemacht und Ausdauer und Engagement bewiesen. Dementsprechend stolz waren sie auf die vielen neuen Eintragungen in der Wheelmap. Fast noch wichtiger: Die Klasse ist durch die Aktion weiter zusammengewachsen. Katharina Schmidts Fazit: „Ein gelungener Blick über den eigenen Tellerrand!“

Links steht eine Verkäuferin, die einen Wheelmap-Aufkleber an die Ladentür klebt, daneben 4 Schülerinnen, eine davon im Rollstuhl ©Denny Kleindienst

Neue Erfahrungen und Begegnungen

Auch die anderen Wheelmap-Aktionen rund um den 5. Mai verliefen sehr positiv und brachten Aha-Momente: „Von einzelnen Teilnehmenden haben wir gespiegelt bekommen, dass sie sich der vielen Hürden im Straßenverkehr vorher gar nicht bewusst waren“, berichtet Thomas Nauhaus vom Quartiermanagement Halle-Silberhöhe/AWO SPI. Er hat die Wheelmap-Aktion in der Silberhöhe zum Anlass genommen, Menschen mit und ohne Behinderung zusammenzubringen und sich mit ihnen auszutauschen. Und das ist auch geglückt: Die Teilnehmenden waren sehr offen, sind schnell zusammengewachsen und haben sogar neue Projektideen geschmiedet.

©Anna Kolata

Ein motivierendes Format

Tobias Nahlik, Geschäftsführer des Behindertenverbands Dessau, ist ebenfalls überzeugt vom Format: „Da es eine so konkrete Angelegenheit ist, fällt es leicht, Menschen zu motivieren, mitzumachen und dies als Gesprächseinstieg zu nutzen.“ Bei der Aktion in Dessau gab es einen Infostand und Interessierte konnten nach einer kurzen Einführung jederzeit mit der Mapping-Runde starten.

Es gibt noch viel zu tun…

Beim Mappen bleiben Gespräche mit Ladenbesitzer:innen meist nicht aus – und verlaufen sehr unterschiedlich. Manche sind nicht gewillt, ihr Geschäft inklusiver zu gestalten, obwohl es wie in Wittenberg eindeutig Bedarf gibt: „Wir mussten feststellen, dass es sehr viele Einrichtungen gibt, die nicht behindertengerecht sind. Überall Stufen, kaum Rampen und wenn, ist dies nicht bekannt“, so Birgit Maßny, Leiterin des Nachbarschaftstreffs Wittenberg West. Es gab aber auch positive Beispiele, bei denen Ladenbesitzer:innen stolz alle Räume einschließlich behindertengerechter Toiletten zeigten, wo man es gar nicht vermutet hätte.

Eine Erleichterung für Rollstuhlfahrer:innen

Dank der Wheelmap und der vielen Engagierten, die sie mit Informationen füttern, müssen Rollstuhlfahrer:innen in der Regel keine bösen Überraschungen mehr beim Laden- oder Restaurantbesuch erleben. Wie praktisch die Wheelmap ist, kann Silke Thiemann bestätigen. Sie ist Vorsitzende des Allgemeinen Behindertenverbands in Halle und Rollstuhlfahrerin: „Ich muss nun nicht vorher anrufen, sondern kann direkt über die App gehen.“

Jede einzelne Aktion hat ihren Beitrag dazu geleistet, den Alltag von Menschen mit Behinderung zu erleichtern und für Inklusion zu sensibilisieren. Mit der Wheelmap-Aktion in Haldensleben soll zum Schluss noch ein Best-Practice-Beispiel genannt werden: Hier war das allgemeine Interesse so groß, dass im Nachhinein sogar ein Gespräch mit dem Bürgermeister stattgefunden hat, um Haldensleben barrierefreier zu gestalten.

Eine Gruppe bei einer Wheelmap-Aktion steht vor einer Einrichtung, zwei Männer und zwei Frauen, eine davon im Rollstuhl ©Nachbarschaftstreff Wittenberg West

Und jetzt: Auf ans Wheelmapping!

Wenn ihr eine Sache aus diesem Artikel mitnehmen solltet, dann: Probiert es einfach mal selbst aus! Wheelmapping ist unkompliziert, hilft vielen Menschen dabei, ihren Alltag besser zu bestreiten und führt damit zu einer inklusiveren und gerechteren Gesellschaft. Also, worauf wartet ihr noch? App herunterladen oder auf wheelmap.org gehen, Karte öffnen und los mappen. Denn damit leisten wir alle einen Beitrag zu dem, was auch das Motto des diesjährigen Protesttags war: „Zukunft barrierefrei gestalten“.

Organisiert mit uns eine eigen Wheelmap-Aktion

Wenn ihr Lust bekommen habt, sogar eine eigene Wheelmap-Aktion zu organisieren, könnt ihr zur Vorbereitung unsere Handreichung nutzen. Hier findet ihr viele hilfreiche Tipps aus der Praxis auf einen Blick.

Handreichung „Eine eigene Wheelmap-Aktion organisieren“

Außerdem unterstützen wir euch sehr gerne bei der Umsetzung eurer Aktion, denn auch 2024 sollen wieder Wheelmap-Aktionen in ganz Sachsen-Anhalt stattfinden. Meldet euch einfach bei uns, wir freuen uns auf neue und alte Mitstreiter:innen!

Kontakt:

Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e.V.
Sofia Tscholakidi
Telefon 0345/ 68 56 857  | Mobil 0179/ 41 85 415
Mail: sofia.tscholakidi@freiwilligen-agentur.de

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